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Einsatz von Simulationstools und digitalen Zwillingen als Ergänzung zum praktischen Labor

5. Nov 2024, 12:02
Im April 2023 habe ich meine Tätigkeit im Studiengang Automatisierungssysteme/Mechatronik an der Hochschule Bremen aufgenommen und dabei das Modul „Schaltungen der Energieelektronik“ übernommen. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Moduls ist der Laboranteil, der es den Studierenden ermöglicht, theoretische Inhalte zu leistungselektronischen Schaltungen wie Schaltnetzteilen, Frequenzumrichtern und Batterieladesystemen praktisch zu erfahren.
Das Labor ist mit hochwertiger Hardware von der Firma Leybold ausgestattet. Mir stehen sieben voll ausgestattete Laborarbeitsplätze zur Verfügung, was eine exzellente Ausgangsbasis für die Lehre darstellt. Diese Geräte sind zwar teuer in der Anschaffung, aber didaktisch ausgereift und sicher im Umgang. Daher bin ich froh, auf diese Ausstattung zurückgreifen zu können.
Abbildung 1: Laborarbeitsplatz für das Modul Schaltungen der Energieelektronik
Trotz der guten Ausstattung habe ich schnell bemerkt, dass die Studierenden Schwierigkeiten hatten, die Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen. Obwohl die Laborbeschreibungen ausführlich und die Vorlesungsunterlagen passend waren, fiel es den Studierenden schwer, innerhalb der begrenzten Laborzeit von drei Stunden ein tiefes Verständnis für den Einfluss der verschiedenen Bauteile auf die Gesamtschaltung zu entwickeln. Besonders problematisch war, dass während der Laborversuche kaum Veränderungen an der Hardware vorgenommen werden konnten, was die experimentelle Lernkurve einschränkte.
Ein Beispiel für ein interessantes Experiment wäre die Untersuchung des Ausgangsspannungsripple in Abhängigkeit vom Wert des Glättungskondensators oder des Eingangsstromripple in Abhängigkeit der Induktivität. Diese Größen sind entscheidend für ein umfassendes Ingenieursverständnis, und es war offensichtlich, dass eine intensivere Beschäftigung damit notwendig war.
Ein weiteres Problem war die eingeschränkte Verfügbarkeit des Labors, was es den Studierenden erschwerte, die Schaltungen im Vorfeld oder nachträglich besser kennenzulernen.
Aus diesen Gründen habe ich im Rahmen des FlexiL-Projekts zusammen mit einer studentischen Hilfskraft Simulationsmodelle aller in der Vorlesung und im Labor behandelten Schaltungen erstellt. Diese Modelle wurden zunächst mit LTSPICE und anschließend mit MATLAB/SIMULINK/SIMSCAPE umgesetzt. Mit LTSPICE haben wir die Erfahrung gemacht, dass einzelne Schalthandlungen durch detailliertere Halbleitermodelle der Hersteller simuliert werden können, es jedoch häufig zu Simulationsfehlern kam und die Bedienung des Programms umständlich ist. Außerdem ist LTSPICE nicht für komplexe Regelungen ausgelegt, die in der Ingenieurspraxis häufig vorkommen.
Deshalb haben wir uns dazu entschieden, die Schaltungen auch mit dem MATLAB-eigenen Tool SIMSCAPE umzusetzen. Insgesamt sind 25 Simulationsmodelle entstanden. Bereits im Wintersemester 2023/2024 wurde den Studierenden LTSPICE vorgestellt. Sie bekamen die Aufgabe, die im Labor vorzufindenden Schaltungen im Vorfeld als bewertete Laborvorbereitung als Simulationsmodell aufzubauen und das Verhalten im Labor im Voraus zu simulieren.
Abbildung 2: Simulationsmodell M1-Schaltung in LTSPICE (links) und Wechselrichter in SIMSCAPE (rechts)
Während des Labors sollten die Studierenden die realen Messergebnisse direkt mit den Simulationsergebnissen vergleichen und die Unterschiede diskutieren. Zudem sollten sie in der Simulation Parametervariationen durchführen, um beispielsweise eine glattere Ausgangsspannung oder den kleinstmöglichen Kondensator auszuwählen, der gerade noch die Normvorgaben erfüllt. Diese Aufgaben sind typisch für die Praxis.
Der Erfolg dieses Vorgehens war deutlich sichtbar. Die Studierenden waren bestens vorbereitet und verstanden die Aufbauten viel schneller als die Studierenden des vorherigen Durchgangs. In der Evaluation gaben sie an, dass das Labor durch die zusätzliche Simulation und die Einarbeitung in LTSPICE und MATLAB zeitlich herausfordernd war, sie jedoch das Gefühl hatten, eine wichtige Kompetenz für die spätere Industriepraxis erlangt zu haben.
Ich möchte mich herzlich beim Team des ZLL bedanken, dessen Unterstützung und Austausch im FlexiL-Projekt maßgeblich zum Erfolg beigetragen haben. Die Veranstaltung „Schaltungen der Energieelektronik“ wurde dadurch erheblich aufgewertet.
Die gewonnenen Erkenntnisse habe ich bereits auf andere Veranstaltungen wie den „Entwurf digitaler Systeme“ übertragen. Auch hier haben sich die Leistungen und die Motivation der Studierenden im Labor deutlich verbessert, da die Laboraufbauten zunächst per Simulation als digitaler Zwilling aufgebaut wurden. Dadurch waren die Studierenden bereits sicher, dass ihre Schaltung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Labor funktionieren wird. In diesem Fach nutzen wir die online Software CircuitVerse, in der die Studierenden online kooperativ an gemeinsamen Schaltungen arbeiten können.
Als Fazit empfehle ich, in jedem Labor auch anderer Studiengänge, sofern die Inhalte sinnvoll simulierbar sind, zur Laborvorbereitung zumindest Teilaspekte von den Studierenden simulieren zu lassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Einsatz von Simulationstools und digitalen Zwillingen im Laborunterricht nicht nur das Verständnis der Studierenden fördert, sondern auch ihre praktische Kompetenz erheblich verbessert. Dies bereitet sie optimal auf die Herausforderungen der Industrie vor und macht die Lehre an unserer Hochschule noch attraktiver und effektiver.

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